Das verheerende Erdbeben im südlichen Anatolien nahe der türkisch-syrischen Grenze reiht sich ein in viele weitere, die diese geschichtsträchtige Region seit jeher erschüttern. Die ältesten Überlieferungen reichen weit zurück in die Antike. Was aber genau weiß man heute über damalige Naturkatastrophen wie Erdbeben? Wie haben die Menschen damals darauf reagiert? Wie erklärte man sich diese zerstörerischen und unheimlichen Erdstöße? Wer leistete welche Hilfe, falls diese überhaupt geleistet wurde? Zu diesen und ähnlichen Fragen forscht bereits seit Jahren der Althistoriker Prof. Dr. Holger Sonnabend, und hat dazu auch publiziert. Wir haben ihm nun unsere Fragen gestellt.
"Die Menschen lebten in der Antike in ständiger Furcht vor der Katastrophe"
L.I.S.A.: Herr Professor Sonnabend, Sie sind Althistoriker und haben unter anderem Naturkatastrophen in der Antike erforscht und dazu auch publiziert. Nun hat sich jüngst wiederholt eine verheerende Naturkatastrophe in einer historisch bedeutenden Region zwischen Europa und Asien ereignet: das schwere Erdbeben im südlichen Anatolien nahe der türkisch-syrischen Grenze. Eine Region, die bereits in der Antike immer wieder von solchen Erschütterungen heimgesucht wurde, beispielsweise beim Übergang zum Frühmittelalter das Erdbeben von Antiochia 526 n.Chr. Gab es weitere schwere Erdbeben in dieser Region, von denen man heute weiß?
Prof. Sonnabend: Die von dem schweren Erdbeben betroffene Region war zu allen Zeiten seismisch extrem gefährdet. Von den historischen Beben ist die Antiochia-Katastrophe von 526 sicher eines der schlimmsten Ereignisse gewesen. Die Quellen sprechen – in der Zahl vielleicht übertrieben, aber in der Tendenz zutreffend – von 250.000 bis 300.000 Todesopfern. Wir kennen viele weitere verheerende Erdbeben, von denen die Region im Grenzgebiet der Türkei und Syriens bereits in der Antike erschüttert wurde. In der Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr. wurde Antiochia, das heutige, vom aktuellen Beben schwer in Mitleidenschaft gezogene Antakya, schon einmal komplett zerstört. Im 1. Jahrhundert v. Chr. beschädigte ein Erdbeben unzählige Städte in Syrien und forderte eine exorbitant hohe Zahl an Opfern. 115 n. Chr. konnte sich der in Antiochia anwesende römische Kaiser Traian bei einem Erdbeben nur durch einen Sprung aus dem Fenster retten. Viele Menschen aber starben, wie auch bei weiteren Beben im 4. und 5. Jahrhundert n. Chr. Die Menschen lebten in der Antike in ständiger Furcht vor der Katastrophe.