Der von 1904 bis 1908 durch die deutsche Kolonialarmee verübte Völkermord im heutigen Namibia wurde von der Bundesregierung lange nicht als solcher anerkannt. Kritiker attestierten nicht nur der Regierung sondern den Deutschen insgesamt eine koloniale Amnesie. Man wolle an die eigene koloniale Vergangenheit weder erinnern noch daran erinnert werden und diese am liebsten vergessen. Die Historikerin Dr. Christiane Bürger bezweifelt die These vom bewussten Vergessen in Sachen Kolonialismus. Sie hält in ihrem Dissertationsprojekt dagegen und behauptet in ihrer Untersuchung der bundesdeutschen sowie der DDR-Historiographie, dass von einer kolonialen Amnesie keine Rede sein könne. Wir haben ihr dazu unsere Fragen gestellt.
"Mich interessierte vor allem, ob es wirklich eine 'koloniale Amnesie' gab"
L.I.S.A.: Frau Dr. Bürger, Sie haben sich in Ihrer Dissertationsarbeit mir der Geschichtsschreibung in der Bundesrepublik und in der DDR über die deutsche koloniale Vergangenheit beschäftigt. Konkret geht es in Ihrer Untersuchung um den Genozid der deutschen Kolonialtruppen an den Herero und Nama von 1904. Bevor wir auf Einzelheiten eingehen – wie kamen Sie zu diesem Thema? Welche Ausgangsbeobachtung bestimmte Ihr Projekt?
Dr. Bürger: Letztlich war sicherlich ausschlaggebend, dass ich nach meinem Studium für ein Praktikum am Goethe-Institut in Dar es Salaam war. Dort war ich, gewissermaßen außerhalb des akademischen Elfenbeinturms, ständig mit der deutschen Kolonialgeschichte konfrontiert – und zwar überwiegend als durch und durch positive Fortschrittserzählung. Das hat mich wirklich irritiert! Zurück in Heidelberg konzentrierte ich mich dann auf den Genozid im kolonialen Namibia, der lange Zeit als vergessen galt. Dabei interessierte mich vor allem, ob es wirklich eine „koloniale Amnesie“ gab, denn schließlich gehörten die kolonialen Verbrechen im Kaiserreich, der Weimarer Republik und – mit Einschränkungen – auch im NS durchaus zu den gesellschaftspolitischen Themen der Zeit.
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