Nur mit Mühe lassen sich die in der Frankfurter Schirn ausgestellten Werke unter den Titel „Glanz und Elend der Weimarer Republik“ subsumieren. Der Titel (wahrscheinlich von Balzac übernommen), klingt natürlich attraktiver als einfach „Das Elend der Weimarer Republik“, ist jedoch, nimmt man das Gros der ausgestellten Werke, irreführend. Es dominieren Elend, körperliche und seelische Verkrüppelung, Hässlichkeit und Perversion. Das mag eine einseitige und zugespitzte Sichtweise der Weimarer Republik sein, zeigt aber authentisch, wie Künstler wie George Grosz, Otto Dix, Georg Scholz, Karl Hubbich, Elfriede Lohse-Wächter, Kate Diehn-Bitt und viele andere die angeblichen „goldenen Zwanziger“ sahen. Ein Gegengewicht bilden die eher verhaltenen, fast „klassischen“ Arbeiten von Christian Schad, Andreas Hofer oder Franz Radziwill. Insbesondere die Arbeiten von Schad, etwa Halbakt oder Lea Bondi (1927) mit ihrer geradezu altmeisterlichen Präzision und ihren kunstvollen Lasurglanz scheinen fast einer anderen Welt anzugehören.
Glanz und Elend in der Weimarer Republik
Eine spektakuläre Ausstellung zeigt das ambivalente Lebensgefühl der Weimarer Republik
Christian Schad, Halbakt (1929)
Für ein zweites terminologisches Problem kann man die Ausstellungsmacher und die Kuratorin Ingrid Pfeiffer nicht verantwortlich machen: die Ausstellung firmiert auch unter einem zweiten Titel: „Neue Sachlichkeit“. Der Titel wurde vermutlich erstmals von dem Mannheimer Museumsdirektor Gustav Friedrich Hartlaub in Umlauf gebracht, der in den zwanziger Jahren einige der in der Schirn vertretenen Künstler in mehreren Ausstellungen unter dem Titel „Neue Sachlichkeit“ ausstellte, ein Begriff der mittlerweile auch von den meisten Kunsthistorikern übernommen wurde[1]. Im Prinzip wäre gegen den Begriff nichts einzuwenden, würde er nicht forciert in einer Bedeutung verwendet, die der Sache nicht gerecht wird: im Sinne eines nüchtern-sachlichen, geradezu emotionslosen Darstellung. Ingrid Pfeiffer betont das „Kühle und Unbeteiligte“ des „Stils“ (Katalog, S. 24). Dies mag für die vertretenen „Klassizisten“ wie Hofer oder Schad tendenziell zutreffen, nicht aber für das Gros der ausgestellten Künstler. Im strengen Sinne einer kühlen sachlichen Betrachtung wären eigentlich nur die Arbeiten von Carl Grosberg oder Karl Völker der „Neuen Sachlichkeit“ zuzurechnen.
Karl Völker, Beton (1924)
Entscheidend ist der Unterschied zwischen Stil und Sujet. Der Stil der Darstellung ist analytisch, schonungslos, überscharf naturalistisch oder „veristisch“, bis hin zum Grotesken und Abstoßenden, das dargestellte Sujet dagegen ist bei der Mehrzahl der Künstler eine leidenschaftliche Kritik an den bestehenden sozialen und politischen Verhältnissen. George Grosz hat zugespitzter Form das Credo der angeblich emotionslosen neuen Stils formuliert. Indem er sich selbst als „Verist“ sieht, schreibt er: „Der Verist hält seinen Zeitgenossen den Spiegel vor die Fratze. Ich zeichnete und malte aus Widerspruch und versuchte durch meine Arbeiten die Welt davon zu überzeugen, dass sie hässlich, krank und verlogen ist“. Das lässt sich kaum als kühl und emotionslos bezeichnen. Bekannt geworden für seine Kritik an den bestehenden Verhältnissen ist Grosz vor allem durch seine Zeichnungen, die Ausstellung zeigt jedoch auch Tafelbilder mit ähnlichen Sujets wie in seinen Zeichnungen: in Straßenszene Kurfürstendamm gehen blasierte Flaneure teilnahmslos aneinander und an einem blinden und bettelnden Soldaten vorbei.
George Grosz, Straßenszene Kurfürstendamm (1925)
Noch grundsätzlicher hat sich Otto Dix zu den Besonderheiten des neuen Stils geäußert.: „[…] Kunst machten die Expressionisten genug. Wir wollten die Dinge ganz nahe, klar sehen, beinahe ohne Kunst“. Das ist, einmal mehr, die Speerspitze der Avantgarde: Kunst wird als solche in Frage gestellt, sie wird im Hinblick auf ihre gesellschaftlichen Grundlagen und Funktion hinterfragt. Die kunstgeschichtliche Pointe ist dabei, wie gerade die Arbeiten von Dix zeigen, dass die historische Situation und das Pathos des Künstlers in das Kunstwerk eingehen, nicht nur in die „stoffliche“ Seite, also in das Sujet oder die Ikonographie, sondern in den Stil selbst: als stilistische Überzeichnung ins Groteske bis hin zu einer Ästhetik des Hässlichen[2], als Auflösung des traditionellen Personenschemas, als Collage und Montage, als einmontierte Texte etc., Elemente also, die sich mit der traditionellen Formalästhetik, etwa à la Wölfflin, nicht mehr fassen lassen. Die Pointe ist somit, dass die (partielle) Absage an die Institution Kunst einen neuen Stil, eine neue Kunst hervorbringt. Das lässt sich etwa an Dix’ berühmter Zeichnung Kriegskrüppel zeigen. Die Kriegsverletzungen sind grotesk überzeichnet, wobei bei den beiden mittleren Krüppeln sogar deren Phantasien eines heilen Körpers über ihren Köpfen eingezeichnet sind. Die Parade der vorbeiziehenden Krüppel gleicht einem Filmstreifen, ein zumindest ungewöhnliches Motiv[3], wobei das Ganze in einer Art altmeisterlichen Präzision gezeichnet ist, die das Erschreckende und Groteske dieser Krüppelparade wiederum mildert.
Otto Dix, Kriegskrüppel (1920)
Neben der körperlichen Verkrüppelung als Folge des Krieges (es gab nach Ende des Krieges etwa 1,5 Millionen Kriegsversehrte, von denen viele keine oder nur sehr geringe Rente bekamen und auf Betteln angewiesen waren) ist seelische Verkrüppelung ein breites Thema der Ausstellung. Grosz und Dix zeigen die Empathielosigkeit und Arroganz der Reichen, eine Reihe anderer Künstler/Innen Missgunst, Blasiertheit, Resignation, Trauer, Ausbeutung in den verschiedensten Formen, nicht zuletzt die Ausbeutung durch Prostitution. Das Bordell und die Hure, Kupplerinnen und Zuhälter, denen das Amüsement in (Nackt-)Revuen, Varietés und Bars korrespondiert, sind ikonographisch und moralisch gewissermaßen der Kristallisationspunkt der Ausstellung. Ein weiterer Themenkomplex ist das Abtreibungsverbot nach § 218 und das Leid, in das zahlreiche Frauen dadurch gestürzt wurden. Ein hellsichtiger Beobachter hat die Stimmung in der Weimarer Republik als kollektive „Melancholie“ (Jean Clair) bezeichnet. Beispielhaft seien einige Bilder erwähnt, in denen seelisches Leiden und die seelische Verkrüppelung zum Ausdruck kommen.
Rudolf Bergander, Bordellszene (1930)
Elfriede Lohse-Wächtler zeigt in zwei Bildern (1930) Liebespaare, nackt, ohne Zärtlichkeit, ohne Blickkontakt. In ihren voneinander abgewandten Gesichtern drückt sich Resignation, Hoffnungslosigkeit und Wut aus. Dasselbe gilt für Karl Hubbuchs Familie mit Nebenverdienst (um 1928): ein Elternpaar schaut mit gnadenloser Härte und Verächtlichkeit auf ihre Tochter, die sich abwendet und entsetzt die Augen aufreißt: Sie ist offenbar gezwungen worden durch Prostitution zum Familienunterhalt beizutragen. Kate Diehn-Bitt malt, in kobaltblauen Gewand mit Spitzenkragen, eine Schwiegermutter zum Gruseln.
Karl Hubbuch Familie mit Nebenverdienst (um 1928)
Es ist spannend zu sehen, wie demgegenüber der künstlerisch dem „klassischen“ Flügel der „Neuen Sachlichkeit“ zuneigende Karl Hofer das Thema der Melancholie aufgegriffen hat. Er hat die im Gleichklang sich bewegenden Nackttänzerinnen Tillergirls gemalt, flächig, ohne Tiefe, vor einem abstrakten rötlich-grau schimmernden Hintergrund, ein perfekt gemaltes Bild. Während Körper und Bewegung fast symmetrisch dargestellt sind, unterscheiden sich die Gesichter: das eine ist gewissermaßen das alter-ego des anderen. Während das Gesicht der linken Tänzerin ein professionelles, abgeklärtes Lächeln zeigt, ist das Gesicht der rechten Tänzerin maskenhaft verschlossen, abwesend und abweisend. Beide Tänzerinnen haben keine Augen, sondern lediglich schwarze Löcher: sie schauen das Publikum nicht an, sondern blicken selbstbezüglich in ihr Inneres, eigentlich sind sie blind. Dass das Bild ohne Tiefe, ohne Bühnenhintergrund gemalt ist, verleiht den beiden Protagonistinnen eine Aura beklemmender Isolation und Einsamkeit.
Karl Hofer, Tillergirls (vor 1927)
Zwangsläufig sind bei einer derart umfangreichen und eindrucksvollen Ausstellung (es waren insgesamt achtzig Museen und Privatsammler als Leihgeber beteiligt) nur einige apercuhafte Anmerkungen möglich, zahlreiche bedeutende Künstler bleiben unberücksichtigt. Einige Fragen müssen gleichwohl an das Konzept der Ausstellung gerichtet werden. Trotz des Versuchs einer historischen Verortung der Ausstellung im Katalog gibt es im Bildmaterial der Ausstellung praktisch keine Anhaltspunkte für die fatale politische Entwicklung der Weimarer Republik. Die Ausstellung bleibt im Wesentlichen auf soziale Milieus und deren Lebensgefühl beschränkt (der Ausdruck „Melancholie“ ist dafür nicht unpassend). Die mit wachsender Militanz und Brutalität geführten politischen Auseinandersetzungen, der bereits vor 1933 stattfindende Aufstieg der Nationalsozialisten und der SA, die Kräfteverschiebungen, die 1933 zur bereitwilligen Machtübergabe an Hitler führten (noch im selben Jahr wurde das Bauhaus geschlossen) bleiben ohne piktorale Resonanz. Damit wären wir beim Bauhauses. Neben dem sektiererischen Zirkel um Johannes Itten, neben der Farbmetaphysik Kandinskys und der jenseitigen Verspieltheit Klees (was sich allerdings bereits 1933 änderte[4]), gab es genügend Bauhausarbeiten, die den Kriterien „Neuer Sachlichkeit“ entsprochen und eine Aufnahme in die Ausstellung gerechtfertigt hätten. Der kometenhafte Aufstieg des Bauhauses und seine sukzessive Zerstörung durch die neuen Machthaber wäre ein Paradigma nicht nur für das Elend, sondern auch für den Glanz der Weimarer Republik gewesen.
Glanz und Elend der Weimarer Republik. Schirn Frankfurt. Bis zum 25. Februar 2018.
Der Katalog kostet 35 Euro.
Reaktionen auf den Beitrag
Kommentar
Armut durch unterbezahlte Arbeit, Angst, großer Reichtum, Dekadenz, politische Radikalisierung, gesellschaftliche Ignoranz, Schönreden, Wegsehen - all´ dies sind die Zutaten einer gefährlichen Entwicklung, wie sie auch die Gesellschaft der Weimarer Republik prägten. Die Folgen sind bekannt.