Im Frühsommer dieses Jahres ist Henry Kissinger 100 Jahre alt geworden. Er feierte seinen Geburtstag in New York, London und auch in seiner Geburtsstadt Fürth. Zu diesem Anlass gratulierte ihm Bundespräsident Steinmeier per Videobotschaft und nannte ihn darin einen der "einflussreichsten Gestalter der Weltpolitik". Der frühere Bundesaußenminister Fischer nannte Kissinger sogar einen „Jahrhundertmann“. Viel Lob und Bewunderung für den US-Politiker deutscher Herkunft - in Deutschland. Dass Kissinger und seine Karriere anderswo anders beurteilt wird, darauf verweist das Buch des Historikers Prof. Dr. Bernd Greiner von der Universität Hamburg, der die erste deutschsprachige Biographie des ehemaligen US-Diplomaten vorgelegt hat. Wir haben ihm dazu unsere Fragen gestellt.
"Kissinger ist nie ein Teamplayer gewesen"
L.I.S.A.: Herr Professor Greiner, der deutsch-US-amerikanische Politiker und Publizist Henry Kissinger hat zuletzt seinen 100. Geburtstag gefeiert. Schaut man sich dazu die Schlagzeilen verschiedener deutscher Medien an, findet man folgende Begriffe: Jahrhundertgestalt, Machtpolitiker, Solist, US-Stratege, umstrittene Figur, Politik-Legende, Weltpolitiker, Einzelgänger, Gelehrter, Hassfigur, Meisterschüler der Weltgeschichte, knallharter Realpolitiker, Kriegsverbrecher, Elder Statesman, Völkermörder usw. Sie haben ihn in Ihrer Kissinger-Biographie aus dem Jahr 2020 "Wächter des Imperiums" genannt. Wenn Sie sich nun aus den Schlagzeilen zu Ihrem "Wächter des Imperiums" drei weitere Begriffe aussuchen, welche wären das, um Kissinger kurz auf den Begriff zu bringen?
Prof. Greiner: Um in Kissingers Welt zu bleiben, sollte ich an erster Stelle einen Begriff nennen, der dem Ego schmeichelt. In diesem Fall meinem eigenen Ego mit dem Attribut „Solist“. So nämlich habe ich Kissinger in einem Beitrag für „Spiegel.de“ bezeichnet – um deutlich zu machen, dass er nie ein Teamplayer gewesen ist, sondern stets das Rampenlicht auf Kosten anderer gesucht hat. Das war übrigens auch ein wichtiger Grund, warum er nach seinem Abschied als Außenminister Anfang 1977 nie wieder in ein Regierungsamt berufen wurde, ganz im Unterschied zu vielen seiner Weggefährten aus der Administration Nixon. Als zweites Attribut würde mir „Hassfigur“ einfallen, eine Zuschreibung, die in Deutschland nicht verfängt, wohl aber in vielen anderen Ländern, die unter Amerikas Außenpolitik während seiner Amtszeit gelitten haben. Was mich dazu bringt, als Drittes den Begriff „Kriegsverbrecher“ zu nennen. Denn viele Entscheidungen, die er während des Vietnamkrieges mitgetragen und mit herbeigeführt hat, erfüllen dieses Kriterium. Denken Sie nur an das Flächenbombardement in Kambodscha zwischen März und August 1973, mit dem überdies der Weg für das Terrorregime der Roten Khmer buchstäblich freigebombt wurde.