L.I.S.A.: Irland hat sich in den vergangenen Jahrzehnten vom Agrarland mit wenig Industrie zu einem modernen Finanzdienstleister entwickelt. Wie kam es historisch zu dieser Weichenstellung? Und welche Rolle spielte dabei Großbritannien bzw. die Londoner City?
Prof. Elvert: Mit dem Beitritt Irlands zur Europäischen Gemeinschaft im Jahre 1973 hatte sich für das Land ein völlig neuer Handlungsrahmen erschlossen. War zuvor Großbritannien und damit auch die Londoner City der Hauptreferenzpunkt – im Guten wie im Schlechten – gewesen, gab es nun mit der EG eine echte Alternative, die erklärtermaßen dazu entschlossen war, die strukturellen Unterschiede im Gemeinschaftsraum durch signifikante Fördermaßnahmen auszugleichen. Die 1970er und 1980er Jahre wurden daher von der irischen Regierung konsequent dazu genutzt, die nationalen Strukturen auf die Gemeinschaft auszurichten. Das bedeutete zunächst eine Analyse der Potentiale, dann den konsequenten Aus- und Umbau der Institutionen. Seit Anfang der 1990er Jahre spiegelte sich diese Modernisierung in durchaus üppigen Wachstumsraten. Hinzu kam eine staatlich geförderte Industriepolitik, die mit niedrigen Steuersätzen erfolgreich viele potentielle Investoren ins Land lockten, die das Ihre für den weiteren Aufschwung leisteten.
L.I.S.A.: Was muss Ihrer Meinung nicht nur in Irland, sondern in Europa insgesamt passieren, um die Krise zu bewältigen? Sparen oder investieren?
Prof. Elvert: Ich denke, dass Europa an einer Wirtschaftskonsolidierung nicht vorbeikommen wird. Solides Wirtschaften ist eben nur auf der Grundlage geordneter budgetärer Verhältnisse möglich. Natürlich ist es nachvollziehbar, dass angesichts der teilweise dramatischen Entwicklungen gerade in Südeuropa Rufe nach Linderung laut werden. Vielleicht lassen sich hier und da möglicherweise sogar negative Spitzen abschleifen. Dennoch bleibt die Notwendigkeit der Konsolidierung der Haushalte und der Modernisierung der Institutionen und Strukturen. Gerade in Zeiten wirtschaftlicher Not werden die strukturellen Defizite bestehender Systeme offensichtlich. So gesehen, sollte in der derzeitigen Krise auch eine große Chance gesehen werden, dass Europa am Ende gestärkt aus der Krise hervorgehen kann. Diese Stärkung sollte beispielsweise auch in einer weiteren Vertiefung der bestehenden Gemeinschaftsstrukturen liegen. Denn wenn schon jetzt etwas überdeutlich geworden ist, dann die Erkenntnis, dass nationale Alleingänge, die heute hier und da schon wieder gefordert werden, übrigens auch hierzulande, letztendlich keinen sinnvollen Beitrag zur Krisenbewältigung leisten können. Nur in der Gemeinschaft sind wir stark.