Der Internationale Währungsfonds (IWF) ist ähnlich wie die Weltbank - die sogenannten Bretton-Woods-Institutionen mit Sitz in Washington - von seiner Genese her als internationaler Akteur ins Leben gerufen worden, um gleich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs das Weltwirtschaftssystem neu aufzubauen und mitzusteuern. Kernaufgabe des IWF ist dabei seither die Vergabe von Krediten an Staaten, die dringend Geld benötigen. Die bewilligten Finanzspritzen müssen allerdings nicht nur zurückgezahlt werden, sondern sind jeweils an Auflagen gebunden, die von den kreditnehmenden Staaten zu erfüllen sind. Diese greifen bisweilen so massiv in die Strukturen der betroffenen Staaten ein, dass deren Sicherheit nachhaltig gefährdet wird - sowohl im administrativen Bereich als auch in der gesellschaftlichen Sphäre. Zugespitzt: Der IWF kann für Staaten ein Sicherheitsrisiko darstellen, so jedenfalls die These des Politikwissenschaftlers Dr. Bernhard Reinsberg von der Universität Glasgow in einem von der Gerda Henkel Stiftung geförderten Forschungsprojekt. Wir haben ihm dazu unsere Fragen gestellt.
"Der IWF ist ein sicherheitsrelevanter Akteur"
L.I.S.A.: Herr Dr. Reinsberg, Sie untersuchen zurzeit in einem von der Gerda Henkel Stiftung geförderten Forschungsprojekt die Auswirkungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) auf die Sicherheit von Staaten. Bevor wir zu einigen Einzelheiten kommen, was genau verstehen Sie hier unter Sicherheit? Der IWF ist doch kein Akteur der Sicherheitspolitik, oder? Welche Vorüberlegungen haben Sie da geleitet?
Dr. Reinsberg: Der Internationale Währungsfonds (IWF[1]) wurde nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet, um durch Überwachung der Wirtschafts- und Währungspolitiken der Mitgliedsländer zur Stabilität des internationalen Finanzsystems beizutragen. Zudem bietet der IWF seinen Mitgliedsländern technische Unterstützung an, um sie bei der Formulierung und Umsetzung einer effektiven Wirtschafts- und Finanzpolitik zu stärken. Diese Tätigkeiten zielen auf die Krisenprävention ab.
Nach dem Zerfall des Bretton-Woods-Währungssystems hat sich die Rolle des IWF grundlegend gewandelt. Die globale Ölpreisentwicklung hatte viele Länder in die Verschuldung getrieben, so dass diese rasch Hilfskredite benötigten. In diesem Zusammenhang hat der IWF zunehmend die Rolle eines „Geldgebers der letzten Instanz“ vollführt, der notleidenden Volkswirtschaften im globalen Süden mit Krediten unter die Arme greift. Diese Kredite gab es jedoch nur zu strikten Konditionen[2], die zum Teil massiv in das institutionelle Gefüge der Entwicklungsländer eingegriffen haben.
Ausgangspunkt unserer Überlegungen ist es, dass diese Eingriffe nicht nur Folgen für die lokale Wirtschaft haben, sondern auch für staatliche Institutionen[3] selbst. Insofern ist der IWF ein Akteur, der für die Sicherheit mitverantwortlich ist - und zwar in zweierlei Hinsicht. Einerseits können IWF-Programme die Sicherheit eines Staates im klassischen Sinne beeinflussen, zum Beispiel durch Einsparungen beim Militär und der Verwaltung und durch ein erhöhtes Risiko von politischer Instabilität[4] sowie coups d’état[5]. Andererseits können die Programme die individuelle Sicherheit der Bürger ganz direkt beeinflussen. In der Wissenschaft wird hierfür auch der Begriff der human security[6] gebraucht. Zum Beispiel können die vom IWF geforderten Sparmaßnahmen die Lage der notleidenden Bevölkerung verschlimmern. Kritiker[7] betonen, dass die rigide IWF-Sparpolitik die Ebola-Krise in Westafrika weiter beschleunigt hat. Selbst in Griechenland - einem vergleichsweise reichen Land - kam es im Zuge der IWF-Programme zu erhöhten Krankheitsausbrüchen[8]. Sparmaßnahmen im Bereich der Polizei können ebenfalls die Sicherheit verschlechtern, selbst wenn dies nur die gefühlte Sicherheit betrifft.
Der IWF ist also in der Tat ein sicherheitsrelevanter Akteur. Ein verengter Blick auf rein wirtschaftliche Fragen im Zusammenhang mit IWF-Programmen greift daher zu kurz. Unser Projekt hat es sich zum Ziel gesetzt, einerseits die Folgen des Handelns des IWF für die Sicherheit von Staaten und ihren Bürgern zu erforschen, und andererseits den sicherheitspolitischen Diskurs im IWF aufzuspüren.