Die Eroberung Konstantinopels 1453 durch die Osmanen zog eine Entvölkerung der ehemals byzantischen Metropole nach sich. Die große Stadt am Bosporus war so gut wie leer. Für die neuen Herrscher Konstantinopels galt es, die Stadt wieder mit Menschen und mit Leben zu füllen. Zuwanderung wurde zu einem der Leitmotive der osmanischen Bevölkerungspolitik. Tatsächlich strömten bald aus unterschiedlichen Motiven Migranten nach Konstantinopel und setzten der Stadt ihren Stempel auf. Doch wie lebten die Zugewanderten in der neuen Heimat zwischen Asien und Europa? Wie richteten sie sich in der Vielvölkermetropole ein? Wie sah das Leben dort aus? Mit diesen Fragen beschäftigt sich die Historikerin und Islamwissenschaftlerin Dr. Denise Klein vom Mainzer Leibniz-Institut für Europäische Geschichte in ihrem aktuellen Forschungsvorhaben. Wir haben ihr dazu unsere Fragen gestellt.
"Wie Migration und Zugehörigkeit in der osmanischen Welt zusammenspielten"
L.I.S.A.: Frau Dr. Klein, Sie sind Islamwissenschaftlerin und Historikerin mit Schwerpunkt auf die Geschichte des Osmanischen Reiches. Zurzeit erforschen Sie am Leibniz-Institut für Europäische Geschichte in Mainz die Migrationsgeschichte der Metropole Konstantinopel bzw. Istanbul. Bevor wir zu einigen Details kommen – was hat Sie zu Ihrem Thema geführt? Welche Überlegungen gingen Ihrer Forschungsarbeit voraus?
Dr. Klein: Die Frage nach dem warum ist schwierig, weil da viele Dinge zusammenkamen, die mir gar nicht alle bewusst sind. Wahrscheinlich waren es sowohl wissenschaftliche Neugier und Freude an der Arbeit mit Handschriften als auch persönliche Sinnsuche und Zufall, die mich zu meinem Buchprojekt „Gurbet Istanbul: Migranten in der osmanischen Hauptstadt, 1453-1800“ gebracht haben. Ich untersuche darin, wie Menschen sich an einem neuen Ort ein neues Leben aufbauten und wie es ihnen dabei erging (gurbet bedeutet soviel wie „in der Fremde sein“), also eine zeitlose Frage, die mich nach ein paar Umzügen zu viel in den letzten Jahren auch persönlich umtreibt. Wie gelingt es, neu Fuß zu fassen, Wohnung, Arbeit, neue Freunde zu finden? Wo gilt es sich anzupassen an die ungewohnte Umgebung, Neues zu lernen, sich zu verändern? Wie schafft man es, dabei bei sich zu bleiben, Verbindung zu halten zur Familie und zu alten Freunden? Und welche Gefühle begleiten diese Veränderungen, welche Ausdrucksformen gibt es für sie und welche Möglichkeiten des Umgangs? Istanbul war auch in osmanischer Zeit eine Stadt der Migranten, es gab also viele Menschen, die sich mit diesen Herausforderungen von Mobilität konfrontiert sahen. In meinem Buch möchte ich ihre Geschichte erzählen und damit auch die Geschichte der Stadt Istanbul, und dabei gleichzeitig besser verstehen lernen, wie Migration und Zugehörigkeit in der osmanischen Welt zusammenspielten.