Der Gedanke an Robin Hood weckt viele unterschiedliche Assoziationen: Sherwood Forest, Little John und Bruder Tuck, Sheriff von Nottingham, Pfeil und Bogen, Richard Löwenherz, Rächer der Enterbten, Beschützer der Schwachen, Kampf für Gerechtigkeit, Schwertkämpfe mit Eroll Flynn in grüner Seidenhose - die Auflistung ließe sich mühelos fortsetzen. Wie viel davon ist aber tatsächlich Geschichte, wie entstand die Legende um Robin Hood und den Merry Men und warum halten Mythos und Faszination noch bis heute an? Die Mediävistin Dr. Judith Klinger von der Universität Potsdam hat die zahlreichen Narrative rund um um diese populäre Figur des Mittelalters erforscht und ihre Ergebnisse jüngst veröffentlicht. Wir haben ihr unsere Fragen gestellt.
"Robin Hood steht in klaren Bezügen zu Raum und Zeit"
L.I.S.A.: Frau Dr. Klinger, Sie haben ein Buch über Robin Hood geschrieben und begeben sich dabei auf die Suche nach einer Legende. Gab es Robin Hood überhaupt? Ist Robin Hood eine historische Gestalt?
Dr. Klinger: Diese Frage erfordert eine komplexe Antwort, denn sie hat die Robin Hood-Forschung seit langem beschäftigt. Von historischen Gestalten sprechen wir, wenn Identitätszeugnisse in Quellen verbürgt sind, die wir für faktenorientiert halten: im Mittelalter z.B. Chroniken. Tatsächlich erscheint Robin Hood in schottischen Chroniken des frühen 15. Jahrhunderts als historischer Straßenräuber, und man hält ihn zu dieser Zeit gemeinhin für eine geschichtliche Person. Diese Person muss aber – wenn es sie gegeben hat – bereits in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts gelebt haben, und dort verliert sich die Spur. Man hat in Gerichtsurkunden und anderen Unterlagen verschiedene Kandidaten ausgemacht, die gewisse Ähnlichkeiten mit dem Robin Hood der späteren Überlieferung aufweisen, aber keine dieser Identifikationen ist gänzlich überzeugend. So ergibt sich ein zwiespältiges Bild: auf der einen Seite die verbreitete Annahme eines real existenten Robin Hood, auf der anderen das Fehlen eindeutiger Dokumente für die Existenz eines historischen Individuums, eines Originals für die vielfältigen Geschichten. Entweder sind unsere Quellen lückenhaft (oder noch nicht hinreichend ausgewertet), oder die Legendenbildung um den Outlaw aus dem Sherwood Forest hat erst im späteren Mittelalter historisches Gewicht gewonnen. Robin Hood verbleibt damit in einem Schwebezustand zwischen Fakten und Fiktionen, der sich beim gegenwärtigen Forschungsstand nicht auflösen lässt.
Das ist natürlich unbefriedigend, aber man muss dabei auch nicht stehen bleiben. Immerhin erlaubt das inzwischen aufgearbeitete Material eine recht präzise zeitliche und geographische Verortung. Für die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts kann ein sprunghafter Anstieg von ‚Robynhood’-Beinamen nachgewiesen werden: ein klares Anzeichen dafür, dass sich Geschichten über einen Outlaw dieses Namens verbreiteten und bereits in diesem Zeitraum große Beliebtheit genossen. Was diese Initialzündung im Einzelnen ausgemacht hat, ist derzeit unklar, aber sie verweist auf einen Ursprung vor 1250. Ebenso unstrittig ist die geographische Zuordnung Robin Hoods zum Westbezirk von Yorkshire. Die Wälder von Barnsdale und Sherwood werden seit Beginn der Überlieferung als sein Aktionsraum benannt, und die Gest of Robyn Hood, eine längere Verserzählung, benennt dazu noch geographische Details, die die Abenteuer der Outlaws akkurat mit spezifischen Örtlichkeiten verknüpfen.
Das sind natürlich keine eindeutigen Beweise für die Existenz eines Robin Hood, wie wir ihn aus den populären Erzählungen kennen, aber sie dokumentieren ein historisches Koordinatensystem: Robin Hood ist keinem mythischen Irgendwo als fiktionales Phantasma entsprungen, er steht in klaren Bezügen zu Raum und Zeit. Auch die Tatsache, dass er seit Beginn der schriftlichen Überlieferung für eine geschichtliche Gestalt gehalten wurde, muss man ernst nehmen. Unsere Kriterien für historische Evidenz sind andere als die, die für mittelalterliche Chronisten Gültigkeit hatten. Geschichte und Geschichten traten zu dieser Zeit nicht zwangsläufig in Widerspruch zueinander, und dass zahlreiche Geschichten über Robin Hood in Umlauf waren, ist klar. Sie haben ihm eine historische Präsenz verliehen, die über lange Zeit gar nicht hinterfragt werden musste.
Reaktionen auf den Beitrag
Kommentar
Sicher war es nicht grundsätzlich verpönt, daß ein Adeliger oder Ritter auch im Bogenschießen bewandert war - doch die Ausbildung beinhaltete an sich andere Dinge. Welchen Nutzen hatte es für einen Ritter, in einer Schlacht mit dem Bogen zu schießen? Sein Metier war auf dem Pferd gegen den Feind zu reiten, mit Schild, Lanze und Schwert. Im Nahkampf war ein Bogen nutzlos, ja sinnlos. Sinn für Adelige machte er bestenfalls bei der Jagd, wofür es auch bessere, oder besser noch, gesellschaftsfähigere Formen (etwa Beizjagd) gab.
Lange Rede, kurzer Sinn (und vielleicht ist das im Buch ja auch so ausgearbeitet) - die Identifizierung mit dem Bogen spricht sehr gegen einen adeligen Robin.