In der besten aller Geschichtswissenschaften würde die Entwicklung von Visionen für das Fach und die konstruktive Diskussion notwendiger Maßnahmen in Bezug auf Diversität, Digitalisierung oder Veröffentlichungen nicht nur in kleinen Teilgruppen geführt. Vielmehr wären sie zentrale Themen in der ganzen Geschichtswissenschaft – also bei allen Akteur:innen und in allen Teilfächern.
Eine solche wünschenswerte Geschichtswissenschaft würde sich selbst als zukunftsgerichtet verstehen und sich unter dieser Prämisse mit Formaten für die Präsentation und Sicherung von Wissen und die zielgruppengerechte Kommunikation von Forschung auseinandersetzen. In der besten aller möglichen zukünftigen Geschichtswissenschaften würde es offene und konstruktive Debatten darüber geben, was unser Fach ausmacht und wo sich die Geschichtswissenschaft in dem Spannungsfeld zwischen Tradition und Anforderungen moderner Wissenschaften positionieren kann.
In dieser besten Geschichtswissenschaft würden die Bemühungen von Historikerinnen und Historikern, sich in öffentliche Diskurse einzubringen, angemessen honoriert. Zugleich würde anerkannt, dass sich diese Debatten immer mehr vom Feuilleton weg und hin zu anderen medialen Formaten verlagern. In dem Wissen, dass sich durch diese Formate auch die Art und Geschwindigkeit der Interaktion verändern, würde diskutiert, welche Unterstützung den Kolleginnen und Kollegen, die sich in öffentlichen Debatten exponieren, zuteil gemacht werden soll. Den parallel stattfindenden Wechsel von der Schriftform zu aufgezeichneten Audiodateien, Videos, interaktiven Websites, Social Media Plattformen oder Apps für mobile Endgeräte – um nur einige der Optionen zu nennen – begleitete die Geschichtswissenschaft kritisch und konstruktiv.
Ein inhärenter Wunsch aller Forschenden und Lehrenden wäre die kontinuierliche Auseinandersetzung über die Gestaltung guter Vermittlungsangebote, unabhängig von der gewählten Plattform. Podcasts, Sachbücher oder Formate für Social Media – die es ja bereits heute gibt – würden als die hochwertige wissenschaftlich fundierte Vermittlungsleistung anerkannt, die sie darstellen, und in Evaluierungs- und Bewertungsprozessen entsprechend dem dahinterstehenden Arbeitsaufwand berücksichtigt. Die Produktion und Vermittlung geschichtswissenschaftlicher Erkenntnis würde gemeinsam gedacht und entsprechende Unterstützung – sei es durch die Bereitstellung technischer Infrastruktur, finanzielle Unterstützung, die Schaffung eines Systems für die wissenschaftliche Qualitätssicherung oder etwas anderes – auch für Formate abseits gedruckter Aufsätze oder Bücher bereitgestellt. So würden wir uns als Fach der aktuell gängigen Veröffentlichungsformate bedienen und uns zugleich gut aufstellen, um uns auch mit zukünftigen potenziellen Vermittlungsformen kompetent und fachkundig auseinandersetzen zu können.
Die so erworbenen Kompetenzen würden wir nicht nur an unsere Studierenden weitergeben, sondern auch nutzen, um uns die Bereiche des öffentlichen Raums zurückzuerobern, die von teils populären, aber nicht forschungsbasierten Formaten von Journalisten oder journalistisch tätigen Historikern besetzt sind. Diesen zu Recht aus dem Fach heraus sehr kritisch beäugten Formaten könnten wir kompetent etwas entgegensetzen. Und zwar nicht als Kritik auf Konferenzen, Podiumsdiskussionen, Zeitschriften oder Tageszeitungen, sondern als alternative Angebote genau an dem Ort, wo auch die kritikwürdigen Inhalte vermittelt werden. So etwas scheitert aktuell nicht an der mangelnden Kompetenz der Kolleginnen und Kollegen, wohl aber an der fehlenden Zeit für Projekte, die in der wissenschaftlichen Verwertungslogik nichts zählen – hier könnte das Fach ansetzen, um einen wichtigen Schritt in Richtung einer Akzeptanz der gegenwärtigen Verhältnisse zu unternehmen.
Eine so aufgestellte Geschichtswissenschaft würde viele verschiedene Gruppen in der Öffentlichkeit ansprechen und damit in einen Dialog mit vielen verschiedenen Menschen treten. Die verstärkte Kommunikation unserer Forschung in die Öffentlichkeit hinein würde zeigen, was Geschichtswissenschaft leisten kann und wie wichtig ein Verständnis von Geschichte für alle gesellschaftlichen Bereiche ist. Junge Menschen, die mit unseren Erkenntnissen ihre eigenen Zukünfte gestalten, würden stärker in den Fokus unserer Vermittlungsbemühungen gerückt. Diese Offenheit der Geschichtswissenschaft würde sich dann hoffentlich in ein stärkeres Interesse an historischer Forschung übersetzen und zu einer stärkeren Diversifizierung der Forschenden des Fachs führen, die sich wiederum auf die Breite der behandelten Themen auswirken würde.
Die Beschäftigung mit digitalen Formaten würde in der besten aller zukünftigen Geschichtswissenschaften auch zu einer aktiven Partizipation des Fachs in der Diskussion um das Management von Forschungsdaten führen. An vielen Universitäten werden aktuell Möglichkeiten zur Sicherung von Forschungsdaten geschaffen. Diese Archivierung digitaler Datenbestände folgt jedoch in der Regel den durch Drittmittelgeber gestellten Anforderungen einer zeitlich begrenzten Aufbewahrung ohne Verzeichnung – im Vordergrund steht die Datensicherung nach Abschluss eines Forschungsprojekts. Für die Geschichtswissenschaft, wo Archivierung Forschung erst ermöglicht, ist diese Art der Sicherung digitaler Daten wenig hilfreich. In einer idealen Geschichtswissenschaft würden wir Historiker:innen an unseren Universitäten unsere Wünsche aktiv einbringen oder uns zusammenschließen, um ein übergeordnetes Archiv für unsere Daten zu schaffen. Ein Archiv, welches unsere Anforderungen berücksichtigt und die dauerhafte Aufbewahrung und Zugänglichkeit von Podcasts, audio-visuellen Interviews, interaktiven Websites oder anderen digitalen Projekten und Quellen ermöglicht.