Weil die Begegnungen und Auseinandersetzungen mit diesem Comic etwas versinnbildlichen, das konstitutiver Bestandteil historischer Forschung ist: Geschichte verbindet. Menschen, Dinge, Orte. Situationen, Konstellationen, Räume, Formate, Gelegenheiten. Diese Comics verbinden meine Familie und Familiengeschichte, Orte, an denen wir über Geschichte ins Gespräch kommen können (z.B. Museen), meinen eigenen Zugang zu Geschichte mit denen der Studierenden im Seminar, die nicht minder persönliche Geschichten mitgebracht und geteilt haben, und für mich als Museumsforscherin unterstreichen sie nicht zuletzt die Relevanz von Dingen und ihren Geschichten für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Vergangenheit.
Was folgt daraus?
In unserem ersten Anlauf, einen Beitrag zu dieser Reihe zu schreiben, sind wir über depressive Beschreibungen des Status Quo Geschichtswissenschaft in Deutschland (fast) nicht hinausgekommen. Als Historikerin oder Public Historian sind wir dafür ausgebildet, kritisch zu reflektieren, wie Geschichten erzählt werden, wie Menschen gelebt, sich die Welt angeeignet, Zusammenleben ausgehandelt und das Verhältnis von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft immer wieder neu bestimmt haben. Wenn wir aufgrund prekärer Arbeitsbedingungen aber permanent und hauptsächlich mit der Sicherung unserer (wissenschaftlichen) Existenz beschäftigt sind, erstickt das sprichwörtlich die Visionen im Keim. Wie können wir unserer Faszination für die Verbindungen zwischen vergangenen und gegenwärtigen Lebenswelten am besten Raum und Form zur Entfaltung geben – und zwar nicht im kleinsten Kreis im Elfenbeinturm, sondern im Gespräch mit anderen Menschen, die sich – ob dafür ausgebildet oder nicht – mit Geschichte beschäftigen?
In der besten aller Zukünfte (die gar nicht utopisch sein müsste) sind die Momente, die uns vor Augen führen, warum wir Geschichte eigentlich so spannend finden und uns damit auseinandersetzen wollen, nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Ohne Beschränkungen, andauernde Unsicherheit und Druck könnten die Reflexion über Geschichte und Geschichten den Raum zur Entfaltung bekommen, den sie verdient – und zwar dort, wo Geschichte (aktuell meist ohne uns) stattfindet.
In der besten aller Zukünfte können wir in Ruhe forschen und lehren. Internationaler Austausch und Auslandsaufenthalte sind integraler Bestandteil unserer Arbeit. Wir haben die entsprechende finanzielle Ausstattung dafür. Platz und Zeit für kreatives gemeinsames Arbeiten und Forschen wäre selbstverständlicher Teil geschichtswissenschaftlicher Praxis. Neben die heiligen Grale erstes, zweites, …. fünfzigstes Buch treten selbst produzierte Podcasts, Blogbeiträge, dynamische, kollaborative Publikationsformate und Wissenschaftskommunikation als gleichberechtigte Formen der Auseinandersetzung mit und Kommunikation von geschichtswissenschaftlicher Forschung – in, mit und für die Öffentlichkeit und natürlich inklusive Methodenreflexion (wie re-konstruieren Historiker:innen eigentlich Vergangenheit?). Forschungsnahe Projektseminare sind nicht vor allem ein großer bürokratischer Aufwand, sondern Möglichkeit, gemeinsam mit und von Studierenden und Zivilgesellschaft zu lernen und Vergangenheit gemeinsam zu erkunden. Ausstellungen kuratieren, Sammlungen anlegen, Erzählcafés mit Zeitzeug:innen veranstalten, Wandbilder gestalten, Hörstationen an historischen Orten installieren, Pop-up-Interventionen in der Fußgängerzone organisieren, Performances und Theaterstücke in Zusammenarbeit mit Künstler:innen inszenieren – all das und vieles andere sind keine Schreckensszenarien in einem auf Kante genähten, bürokratisierten Wissenschaftsbetrieb, sondern etablierte, kreative, kritische und inklusive Formate des Austauschs über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
Nichts von alldem ist neu, noch nicht passiert oder utopisch. Realitätsfern, prekär und maximal unsicher sind lediglich die Arbeits-, Forschungs- und Lehrbedingungen, unter denen all das trotzdem geleistet wird – und der Preis dafür ist hoch. Geschichte und Geschichtswissenschaft haben das Potential Menschen ins Gespräch zu bringen und gemeinsam zu reflektieren, wie wir als Gesellschaft zusammengelebt haben und in Zukunft zusammenleben wollen. In einer Zeit multipler Krisen brauchen wir diese Reflexion mehr denn je – verschenken wir das Potential nicht.